Projekt kulturer.be
Die Firma Hohner und die Kleinstadt Trossingen am Rand der Schwäbischen Alb bilden seit mehr als 150 Jahren eine enge Symbiose. Die Musikinstrumente, die dort erdacht, hergestellt und in die ganze Welt exportiert werden, haben den Namen der Stadt weithin bekannt gemacht. Baulich hat sich die rasante Firmenentwicklung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in einem ganzen Hohner-Quartier niedergeschlagen, das sich nach und nach nahe dem Zentrum von Trossingen bildete und vom Aufstieg eines Weltunternehmens in der Provinz zeugt. Dass Hohner Anfang der 1980er Jahren in neue Produktionsstätten umzog, stellte die Stadt vor nicht geringe Probleme, musste doch für eine Reihe von ehemaligen Fabrikbauten, die als Kulturdenkmale eingestuft worden waren, neue Nutzungen gefunden werden. Während sich dies für einige kleinere Gebäude ohne größere Probleme bewerkstelligen ließ, entwickelte sich der Hauptbau der früheren Fabrikation von Mundharmonikas und Akkordeons zu einem Problemfall.
Der L-förmige „Bau V“ mit immerhin 6.000 Quadratmetern Nutzfläche war 1921 in einer ausgesprochenen Expansionsphase der Firma durch Philipp Jakob Manz aus Stuttgart, dem damals führenden südwestdeutschen Architekten für Industriebau, errichtet worden. Charakteristisch für das Büro Manz, das sogar international tätig war, sind auch hier die damals innovative Betonskelettbauweise, die monumentale Gliederung der Fassadenpfeiler und die bewegte Dachlandschaft. Nach langer Vernachlässigung, über 15 Jahren Leerstand und großen Schäden durch ein Unwetter glich der Bau im Jahr 2005 mehr einer Ruine als einem erhaltungsfähigen Gebäude. Nur die Hartnäckigkeit der Denkmalpflege verhinderte den Abbruch. Nahezu zwanzig Konzepte unterschiedlicher Kaufinteressenten scheiterten, nicht zuletzt an der Frage der Erhaltung der für das Erscheinungsbild wichtigen, im Original erhaltenen 400 Fenster. Sie sind heute äußerst selten zu findende Beispiele für doppelscheibige „Panzerfenster“, eine Vorform der heutigen Isolierverglasung.
Dank des Engagements der Investoren Wulf Wössner und
Volker Lechler in Freiburg, die mit dem Architekturbüro
Leo Braun in Konstanz ein denkmalverträgliches Konzept
der Umnutzung und substanzorientierten Erneuerung entwickelten,
konnte der nicht nur für Trossingen wichtige Bau doch
noch gerettet werden. Eine gemischte Nutzung aus Stadtbücherei
und Räumen für die städtische Musikschule,
Gastronomie mit angeschlossenem Hotel, Arztpraxen und Büros
sowie Eigentums- und Mietwohnungen ermöglicht eine wirtschaftlich
tragbare Lösung, die zugleich denkmalpflegerischen Intentionen
nicht zuwiderläuft, worauf der Bauherr größten
Wert legte. Der ursprüngliche Eindruck von Großzügigkeit
ging bei der Aufteilung der Flächen für die neuen
Nutzungen nicht verloren. Besonders positiv bewertete die
Jury, dass das Gebäudevolumen nicht um jeden Preis vermarktet
wurde. So blieben große Dachräume bewusst unausgebaut.
Die dort untergebrachten Abstellkammern für die Mieter
des Komplexes steigern ihrerseits den Gebrauchswert der Einheiten.
Achtzig der wertvollen originalen Fenster konnten aufwändig
restauriert und wieder eingebaut werden. Die neu angefertigten
Ersatzfenster nehmen in ihrer Sprossendimensionierung Rücksicht
auf das ursprüngliche Erscheinungsbild. Restauratorische
Untersuchungen lieferten Erkenntnisse für die Wiederherstellung
der historischen Oberflächen, Farbfassungen der Fassaden
sowie der nahezu unverändert erhaltenen Treppenhäuser.
Funktional notwendige Eingriffe wie der Einbau von Aufzügen
und vor allem die Balkone an den Wohnungen ordnen sich angenehm
zurückhaltend dem Gesamtbild unter.
© Texte und Bilder: Schwäbischer Heimatbund 2011
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