Projekt kulturer.be
Sie existierten eigentlich nur ein paar Jahrzehnte, in denen sie aber auf besondere Weise die Landschaft am Oberrhein und den angrenzenden Regionen prägten. Gemeint sind die Tabakscheunen, jene langen, schmalen und hohen Holzkonstruktionen mit Satteldach, in denen hinter einer hölzernen Lamellenfassade die Tabakblätter, aufgefädelt auf „Bandeliere“, getrocknet wurden. Ihre Existenz verdanken diese prägnanten, vom Wetter gezeichneten, außerhalb der Dörfer gelegen Bauten dem verstärkten Tabakanbau in unserem Land, der vor allem nach 1933 Importe aus dem Ausland vermeiden sollte. Die Verbreitung von Tabakkrankheiten und vor allem der globale Handel ließen diese besondere Sparte der heimischen Landwirtschaft nach 1950 schrumpfen und die Scheunen bald überflüssig werden. Schnell verschwanden sie wieder aus dem Landschaftsbild, da es kaum eine andere Nutzungsmöglichkeit für sie zu geben schien.
Auch die Neibsheimer Scheune, 1940/41 mitten im Zweiten Weltkrieg nach einem Musterentwurf vom örtlichen Tabakbauverein als „Genos-senschaftstrockenschopf“ errichtet, blieb nur durch Zufall erhalten, nachdem der Tabakanbau im Dorf 1967 eingestellt worden war. Eine Geflügelhaltung erwies sich als nicht erfolgreich. Einen Abbruch des zunehmend schadhaften Baues verhinderte einzig die ungeklärte Eigentumsfrage mit jahrelangen Rechtsstreitigkeiten. Obwohl man bereits Mitte der achtziger Jahre eine mögliche Denkmaleigenschaft diskutierte und 1997 tatsächlich die Aufnahme in die Denkmalliste erfolgte, betrieb die Stadt Bretten, wohin Neibsheim eingemeindet worden war, zielstrebig den Abbruch des inzwischen an Dach und Fassaden baufällig gewordenen Gebäudes. 2004 schließlich – die Denkmalbehörden hatten sich wegen Unzumutbarkeit bereits von diesem Objekt verabschieden müssen und die Abbrucharbeiten waren bereits ausgeschrieben – entdeckte der junge Architekt Florian Blümig auf einer Radtour den Bau. Für ihn war es Liebe auf den ersten Blick. Mit einem selbstgebauten Modell gelang es ihm, gegen anfänglichen Widerstand in vielen Gesprächen mit den Verantwortlichen in Behörden und politischen Gremien seine ungewöhnlichen Ideen für eine bislang nicht für möglich erachtete Sanierung und Umnutzung zum Wohnhaus verständlich zu machen. 2005 konnten Blümig und seine Frau Grundstück und Bau erwerben, zwei Jahre später schließlich zogen sie nach einer Phase vielfältiger Arbeit ein.
Heute ist die Neibsheimer Tabakscheune ein rundum geglücktes
Beispiel für den kreativen Umgang mit einem nicht alltäglichen
Objekt der reichen Denkmallandschaft in Baden-Württemberg.
Das Konzept eines „Hauses im Haus“ lässt
das konstruktive Gerüst und die für den Bautyp
charakteristische offene Bauweise weitgehend in Erscheinung
treten. Die durch langjährige Vernachlässigung
der Bauunterhaltung verloren gegangenen Teile des Daches
und der Fassade wurden denkmalgerecht erneuert, so dass die
besonderen Baumaterialien des Gebäudes ohne Abstriche
erhalten blieben. Alle zusätzlichen Elemente, angefangen
von den notwendigen statischen Verstärkungen der Holzkonstruktion
mittels Stahlprofilen über die angehängten Balkone
bis hin zu den orangenen Holzwolleplatten des Innenkerns,
die diesen unter anderem auf neueste Energiestandards bringen, überzeugen
durch ihren Respekt gegenüber der historischen Bausubstanz
und ihre hohe architektonische Qualität. Die Jury hofft,
dass dieses Beispiel Planer und Eigentümer ermutigt,
auch bei anderen Umnutzungen mit Phantasie nach schöpferischen
Lösungen zu suchen.
© Texte und Bilder: Schwäbischer Heimatbund 2011
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