Projekt kulturer.be
Ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches Haus aus der Mitte der 1960er Jahre zu erwerben, es nach genauer Bestandsaufnahme mit gleicher Akribie wie ein jahrhundertealtes Bauwerk sorgfältig zu restaurieren und einfühlsam für eine neue Nutzung angemessen umzubauen – darin sahen die Juroren eine besonders preiswürdige Leistung, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über den Umgang mit der Architektur der Nachkriegszeit. Diese hat es gegenwärtig nicht leicht, was die Bewahrung des Originalzustands angeht. Dabei werden meist wirtschaftliche Gründe und der Hinweis auf energetische Probleme ins Feld geführt, oftmals steht dahinter aber schlichtweg die generationsbedingt geringe Wertschätzung der Leistungen einer noch nahen Vergangenheit. Auch im Fall der Villa Wagner bei Friedrichshafen schien die Zerstörung zunächst unabwendbar.
Filmaufnahmen für eine Fernsehserie waren es, die 2001 die Denkmalbehörden auf das leer stehende Anwesen luxuriösen Zuschnitts aufmerksam machten. Wie ein eben gelandetes Ufo steht dort in Einzellage auf einem parkartigen Grundstück mit Fernblick zum See und den Alpen ein Haus, in dem modernistische Architekturvorstellungen der 1960er Jahre in besonders dichter Weise umgesetzt sind. Man glaubt sich in die Kulisse eines frühen James-Bond-Filmes versetzt: Abgeschottet gegen die Straße, öffnet sich zur Landschaft hin ein flacher, bungalowartiger Baukörper mit vorgelagerter Terrasse über einem sockelartigen Erdgeschoss. Aus Trapezen zusammengesetzte Grundrissstrukturen – es finden sich somit kaum rechteckige Raumzuschnitte – schaffen vor allem im Repräsentationsbereich eine fließende Wohnlandschaft von organischer Dynamik, in der eine Fülle kontrastierender Materialien von Naturstein bis zum Aluminium eine mehr als unübliche Atmosphäre verbreiten. Allgegenwärtig ist die geradezu futuristisch anmutende Haustechnik mit elektrischen Fensterhebern, Automatiktüren, Fernsehmonitoren und einer eigenen Notstromversorgung.
Recherchen der Denkmalinventarisatoren ergaben, dass es
sich um das Haus des Markdorfer Industriellen Josef Wagner
handelte,
das dieser 1964–66 unter starker eigener Planungsbeteiligung
von den örtlichen Architekten Schliessmann und Stihler
hatte errichten lassen, die sonst nie mit solch spektakulärer
Architektur in Erscheinung traten. Die nachfolgende Einstufung
als Kulturdenkmal hatte ein juristisches Nachspiel, da der
damalige Eigentümer seinen bereits von der Stadt genehmigten
Plan zur Aufstockung und Aufteilung in mehrere Wohnungen
nicht mehr realisieren konnte. Das Gericht bestätigte
indes die Denkmaleigenschaft und die Rücknahme der Umbaugenehmigung.
Gerettet war das Haus damit noch nicht, ließ es sich
doch nicht im üblichen Sinne vermarkten. Erst Veranstaltungen
zum 100. Geburtstag des Bauherrn, die im Haus stattfanden,
brachten die Wende. Die Verantwortlichen der auch heute noch
weltweit tätigen Firma J. Wagner GmbH erkannten, dass
sich der innovative Geist, die Technikbegeisterung und der
Qualitätsanspruch des Firmengründers in hohem Maße
in seinem ehemaligen Privathaus wiederfinden. 2007 kaufte
die Firma das Anwesen zurück und beauftragte die Architekten
Christa Kelbing und Frank Hilbert mit einer Sanierung, die
so viel wie möglich von der Originalsubstanz und dem
besonderen Charme des Anwesens erhalten sollte. Heute ist
das Haus Sitz der Josef-Wagner-Stiftung, in dem Konferenzen
und Firmenpräsentationen stattfinden. Im Sockelgeschoss
wurden anstelle der Hausmeister- und Chauffeurwohnungen drei
Wohnappartements für neue leitende Mitarbeiter eingerichtet,
alles unter größtmöglicher Berücksichtigung
des ursprünglichen Zustandes.
© Texte und Blder: Schwäbischer Heimatbund 2011
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