Landeskunde > Kultur > Denkmalpflege > Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg > 2010

Villa Wagner in Friedrichshafen-Spaltenstein (2010)

Ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches Haus aus der Mitte der 1960er Jahre zu erwerben, es nach genauer Bestandsaufnahme mit gleicher Akribie wie ein jahrhundertealtes Bauwerk sorgfältig zu restaurieren und einfühlsam für eine neue Nutzung angemessen umzubauen – darin sahen die Juroren eine besonders preiswürdige Leistung, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über den Umgang mit der Architektur der Nachkriegszeit. Diese hat es gegenwärtig nicht leicht, was die Bewahrung des Originalzustands angeht. Dabei werden meist wirtschaftliche Gründe und der Hinweis auf energetische Probleme ins Feld geführt, oftmals steht dahinter aber schlichtweg die generationsbedingt geringe Wertschätzung der Leistungen einer noch nahen Vergangenheit. Auch im Fall der Villa Wagner bei Friedrichshafen schien die Zerstörung zunächst unabwendbar.

Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg 2010: Villa Wagner in Friedrichshafen-Spaltenstein

Filmaufnahmen für eine Fernsehserie waren es, die 2001 die Denkmalbehörden auf das leer stehende Anwesen luxuriösen Zuschnitts aufmerksam machten. Wie ein eben gelandetes Ufo steht dort in Einzellage auf einem parkartigen Grundstück mit Fernblick zum See und den Alpen ein Haus, in dem modernistische Architekturvorstellungen der 1960er Jahre in besonders dichter Weise umgesetzt sind. Man glaubt sich in die Kulisse eines frühen James-Bond-Filmes versetzt: Abgeschottet gegen die Straße, öffnet sich zur Landschaft hin ein flacher, bungalowartiger Baukörper mit vorgelagerter Terrasse über einem sockelartigen Erdgeschoss. Aus Trapezen zusammengesetzte Grundrissstrukturen – es finden sich somit kaum rechteckige Raumzuschnitte – schaffen vor allem im Repräsentationsbereich eine fließende Wohnlandschaft von organischer Dynamik, in der eine Fülle kontrastierender Materialien von Naturstein bis zum Aluminium eine mehr als unübliche Atmosphäre verbreiten. Allgegenwärtig ist die geradezu futuristisch anmutende Haustechnik mit elektrischen Fensterhebern, Automatiktüren, Fernsehmonitoren und einer eigenen Notstromversorgung.

Recherchen der Denkmalinventarisatoren ergaben, dass es sich um das Haus des Markdorfer Industriellen Josef Wagner handelte, das dieser 1964–66 unter starker eigener Planungsbeteiligung von den örtlichen Architekten Schliessmann und Stihler hatte errichten lassen, die sonst nie mit solch spektakulärer Architektur in Erscheinung traten. Die nachfolgende Einstufung als Kulturdenkmal hatte ein juristisches Nachspiel, da der damalige Eigentümer seinen bereits von der Stadt genehmigten Plan zur Aufstockung und Aufteilung in mehrere Wohnungen nicht mehr realisieren konnte. Das Gericht bestätigte indes die Denkmaleigenschaft und die Rücknahme der Umbaugenehmigung. Gerettet war das Haus damit noch nicht, ließ es sich doch nicht im üblichen Sinne vermarkten. Erst Veranstaltungen zum 100. Geburtstag des Bauherrn, die im Haus stattfanden, brachten die Wende. Die Verantwortlichen der auch heute noch weltweit tätigen Firma J. Wagner GmbH erkannten, dass sich der innovative Geist, die Technikbegeisterung und der Qualitätsanspruch des Firmengründers in hohem Maße in seinem ehemaligen Privathaus wiederfinden. 2007 kaufte die Firma das Anwesen zurück und beauftragte die Architekten Christa Kelbing und Frank Hilbert mit einer Sanierung, die so viel wie möglich von der Originalsubstanz und dem besonderen Charme des Anwesens erhalten sollte. Heute ist das Haus Sitz der Josef-Wagner-Stiftung, in dem Konferenzen und Firmenpräsentationen stattfinden. Im Sockelgeschoss wurden anstelle der Hausmeister- und Chauffeurwohnungen drei Wohnappartements für neue leitende Mitarbeiter eingerichtet, alles unter größtmöglicher Berücksichtigung des ursprünglichen Zustandes.

© Texte und Blder: Schwäbischer Heimatbund 2011

im Detail:  
siehe auch:  
weiter:  

Startseite | Service | Aktuelles | zur ZUM | © Landeskunde online/ kulturer.be 2018