Das Reisetagebuch meiner Großmutter

12. Juni - 3. Juli 1954 Autoreise nach Lahr

 
1. Tag: Leipzig - Alsfeld

Jahrelang galt unsere Sehnsucht einer Reise nach Lahr! Oft besprochen , blieb es ein Wunschtraum. Schwarz über die Grenze zu gehen, mochte selbst unser armer Vater nicht riskieren. Ohne eigenes Geld schon von der Grenze an, schon gleich garnicht ! Der Arme hat es nicht erleben dürfen, Dorle drüben im eigenen Heim zu sehen - seinen Liebling Pepi-Peter als großen Jungen und den kleinen Christoph kennen zu lernen.

Nach den Unruhen des 17. Juni 1953 kamen Reiseerleichterungen für den Bahnverkehr u. alles setzte sich im beiden Richtungen im Bewegung. Aber noch musste man in Erfurt in den Interzonenzug steigen, wo sich immer Riesenandrang entwickeln soll. Ich Armes konnte auch an diese Möglichkeit nicht denken. Nach Lahr muss man ja auch noch in Frankfurt umsteigen. So blieb ich resigniert daheim. Peter fuhr mach einem Kongress in Karlsruhe im Sept. 53 für einige Tage nach Lahr.

Er brachte den Entschluss mit, daß es für mich am besten mit dem Auto zu machen sei. Der gute Junge setzte nun alle Hebel im Bewegung, zu einem Autokauf zu kommen, was ihm im Dez. 53 gelang. Für unsere Ostbegriffe ein schönes Stück - drüben haben sie uns dann belächelt, daß „so etwas" noch fährt.
Nach vielen Vorbereitungen an Auto-Überholen, Abschmieren, Geschenkeinkäufen für alle, an Durchsprechen aller Möglichkeiten war es dann wirklich soweit. Angst u. viele schlaflose Stunden hatte ich vorher u. glaubte nicht an die Möglichkeit, daß wir hin u. her ohne Pannen fahren könnten. Bis Karlsruhe Autobahn wirkte immerhin beruhigend. Inzwischen kamen Kollegen von Peter zurück, die mit ähnlichen Wagen in München u. anderswo gewesen waren. Das Vertrauen stieg langsam u. endlich war es soweit! Der grosse Autokoffer wurde hinten aufmontiert 5 Kanister mit 100 lt. Benzin drin verstaut, dazu 25lt, im Tank. Koffer auf den Rücksitzen sachgemäss verstaut (zweifelhafte Geschenke auf dem Grund des Koffers), Taschen allen Formates für Nachtzeug, Reiseproviamt, Werkzeug pp. umd klopfenden Herzens begann die Fahrt!

Kilometerstand:14788, 10,15 Uhr fuhren wir am 12. Juni los. Erst besuchten wir unseren armen Vater, um seinen Segen mitzunehmen, dann rollten wir hinter Wideritzsch auf die Autobahn, wo wir uns gleich geborgen fühlten! Das Wetter war schön, teilweise wolkig u. windig. Hurtig rollten wir im 50 km-Tempo dahin. Wir hatten ja Zeit u. wollten die Gegend geniessen.

Hinter der Einfahrt Merseburg war eine Kontrollstelle mit Schlagbaum, wo ein Vopo mit dem Feldstecher die anrollenden Wagen beobachtete. Aber wir konnten glatt passieren, offenbar wurden westliche Wagen registriert. Die Armem, wie mag ihnen das Herz klopfen. Gegen Eisenberg wird die Landschaft lieblich u. die ersten Steigungen kommen, die der brave Opel gut überwand. Mir blieb es wehmütig ums Herz,denn wir hatten mit unserem armem Vater oft diese Strasse befahren u.spätestens in dieser Gegend das erste Picknick gemacht! Reizend am Straßenrand u. dem Mittelstreifen die vielen bunten Wiesenblumen grosse Flächen Lupinen. Der herliche Waldduft drang durch die offenen Fenster. Das Verdeck aufzumachen wagten wir nicht. Erstens konnte es durch den hohen Koffer beschädigt werden u. dann prasselte die Sonne ordentlich u. wir fürchteten Sonnenbrand!

12,30 Uhr waren wir am Hermsdorfer Kreuz. Die Raststätte liegt ein Stück hinter der Kreuzung. So schwenkten wir vorher in Richtung Jena ab u. machten am nächsten Parkplatz erste Rast. Peter kontrollierte Bremsen u. Reifen u. was der zünftige Autofahrer so nachsehen muss. Nach einer kurzen Mahlzeit ging es weiter u. es bot sich nun dauernd eim schöner Weitblick über die Saaleberge, Leuchtenburg, die Hügel um Jena. Bald lag die Stadt selbst reizvoll zu unserer Rechten. In leichten Kurven ging die Fahrt auf u.ab. Weit liegt das Thüringer Land, zur Linken die Berge. Zuerst kommen die Drei Gleichen, zwischen denen wir hindurch fahren.

Dann in der Ferne der Inselsberg, den wir lange u. sogar das Haus deutlich sehen. Beim km 15000 wird vom Inselsberg die erste Aufnahme gemacht. Schön sind die vielen gelbblühenden Rapsfelder. Der Verkehr ist schwach auf der Autobahn, aber es tauchen doch die ersten westdeutschen Wagen u. Roller auf, schwarzes Schild mit weisser Schrift! Die Autobahn wird dann eingleisig, die andere Seite noch nicht ausgebaut.

An den Hörselbergen windet sich die Strasse in sanften Windungen hinauf, die Wartburg taucht auf und weit schauen wir schon hinüber ins hessische Bergland - nach Westdeutschland.

Bald liegt Eisenach selbst reizend zu unseren Füßen u. die Autobahn ist nun völlig zu Ende. Ein kleines gelbes Schild erscheint Zonensperrgebietsgrenze! Mir fängt an bänglich zu werden. So ganz sauber ist ja unsere Weste nicht! Seit Leipzig kamen wir an keiner Tankstelle vorüber. Jn Hermsdorf hätten wir bis zum Rasthaus fahren müssen. An der dortigen Kreuzung hätte mindestens ein Schild die Autofahrer aufklären missen. Ich hatte nun mindestens vor der Grenze noch einen Hinweis erwartet, wo die nächste Tankstelle ist!

Wir hatten ja Vorrat, aber immerhin muss ich darüber meckern. Die Strasse war nun sehr mässig u. die Dörfer trostlos u. schmutzig bis Wartha. Erst kurz vor der Zonengrenze ist die Strasse neu beschottert. Links tauchten nun die Bahngeleise auf u. in der Ferne Losungen, Baracken u. ein H0 Stand. Es ist 16,05, wir stehen am Schlagbaum! Mein Herz klopft wild u. die Knie werden schwach! Peter nimmt meinen Ausweis u. Geld (50.-) an sich, Der Posteb kontrolliert die Papiere, zieht dem Schlagbaum hoch u. wir dürfen einfahren. Einige Wagern in beiden Richtungen stehen umher, packen Koffer aus, alle erscheinen etwas aufgeregt u. bedrückt. Aus den Baracken quaken Lautsprecher, Gestalten im schilfgrauen F.D.J.Blusen stehen umher um vieleicht die Leute zu beobachten?? 2 sowjetische Militärposten ziehen mit Maschinenpistolen vorüber. Peter geht zunächst mit den Papieren in die Baracke zum Registrieren Es ist kein Andrang, weil auch kein Zug da ist. Dann packt Peter das Auto aus, Mäntel aufs Verdeck - Taschen rausgestellt, die Koffer in die Baracke geschleppt. Es geschieht alles unter freiem Himmel, es ist kein Dach neben den Baracken, wo die Wagen bei Regenwetter geschützt stehen. Er brauchte nur die Koffer aufschliessen u. den Geldbetrag ansagen, welcher im Pass vermerkt wird, weil dieser Betrag auf der Einreise wieder mitgebracht werden muss. Trotzdem hatte ein Nachbar im Koffer obenauf ein silbernes Taufbesteck, welches er dort hinterlegen musste. Einer anderem Frau wurde die Geldbörse kontrolliert. Man muss mit Stichproben rechnen! Inzwischen kam ein junger Mann im Monteuranzug, gab die Autopapiere zurück, sah sich kurz im Wagen um, schlug den Rücksitz zurück. Aber ich durfte sitzen bleiben, Peter kam und verstaute wieder alles im Wagen u. wir fuhren erleichtert weiter. Es kam noch ein Schlagbaum - nochmalige Ausweiskontrolle und wir waren im Niemandsland. Etwa 200 m in der Mitte ein weißer Doppelstrich - die Zonengrenze. Unbegreiflicherweise Fussgänger und Radfahrer — vieleicht der kleine Grenzverkehr? Ein sauberes weißes Häuschen u. ein Schlagbaum tauchten nun auf, westdeutsche schmucke Grenzer in jagdgrünen Uniformen lachen uns freundlich an: Die Dame kann sitzenbleiben! Die Ausweise werden im Haus kurz kontrolliert. Währenddem frage ich den Grenzer: Jetzt kann mam wohl lachen, was er schmunzelnd quittiert. Gute Fahrt rufen sie uns nach und uns fällt ein Riesenstein vom Herzen. Alles hat nur 25 Hinuten gedauert. Peter macht eine Aufnahme und wir rollen auf gut beschotterter Strasse hinein ins gelobte Land!

Zwar ist die Strasse schmal mit vielen Windungen, denn von früher her ist ja hier kein Fernverkehr. Zuerst kommt Herleshausen. Die Häuschen sauber abgeputzt, an den Läden Reklameschilder mit westdeutschen Markenwaren, Apfelsinen, Citronen in den Läden. Das ist das, was mir zuerst auffällt in diesen abgelegenen Dörfern, bei uns nicht einmal in der Stadt zu haben. Es ist Samstag Nachmittag, die Frauen kaufen noch ein, die Männer kehren die Strassen, alles atmet Zufriedenheit u. Sauberkeit. Ca.20 km fahren wir so durch die Dörfer, lange am Stacheldraht der Grenze entlang. Verschiedentlich sehen wir Hochsitze, die aber wohl der Grenzbeobachtung u. nicht der Jagd dienen. Es ist geringer Autoverkehr, was die Fahrt erleichtert. In allen Dörfern lesen wir: Zonengrenzgebiet, einmal auf einem Waldfahrweg: Zur Grenze. Man hat keine Karte,um die genaue Zonengrenze verfolgen zu können, denn, nachdem wir wieder auf die Autobahn Richtung Frankfurt einrollen, sehen wir noch hin u. wieder in ein paar 100 m Entfernung den ca. 1 1/2 m hohen Stacheldraht. Auch rollt ein Grenzerauto vorüber.

Auf der Autobahn sind wir nun wieder froh. Es geht durch Wald u. Wiesen hinauf, wie durch einen grossen Park. Nach beiden Seiten grossartige Ausblicke. Zur Linken erscheint die hohe Rhön. Fast nirgends Felder, bis in weite Ferne bewaldete Berge. Tiefer Friede liegt über der reizvollen Landschaft. Es wird trüber und kühler, 17,30 Uhr beim kmst. 15079 ist der Tank leer. Wir sind unweit Hersfeld. Peter schliesst seinen Vorratsschrank auf holt den ersten Kanister. Er ist sehr zufrieden mit dem Benzinverbrauch (25lt.=291 km), dazu keinerlei Stockung auch bei Steigungen. Wir halten gerade über einem weiten Tal u. benutzen die Gelegenheit zu einer kleinen Jausse. Überall massenhaft Lupinen und blühende Ginsterbüsche über u. über gelb. Weite Wälder Laub u. Nadelwald rundum. Die Gegend erscheint so unerschlossen u. doch sehr gepflegt. Es ist eine für uns ungekannte Gegend. Da es nun leise zu nieseln beginnt, beeilt sich Peter, einen grossen Begrüßungsstrauss für Frau Henkel zu pflücken. Die Erde der sichtbaren Waldwege leuchtet direkt rot - sicher ein fruchtbares Land. Es kommt ein einsames Rasthaus mit Unterkunft. Ab Ausfahrt Hersfeld nimmt der Verkehr etwas zu.Gegen 19 Uhr erscheint nahe der Autobahn Alsfeld mit seinem markanten Kirchturm, reizend eingebettet in einem lieblichen Tal zwischen Wiesenhügeln. Auf einer alten Allee rollen wir der Stadt entgegen, machen eine kleine Rundfahrt durch das hessische Rothenburg mit seinen winkligen Strassen und mit den 19-Uhr Glockenläuten fahren wir über den Markt. Eine Idylle, dieser Marktplatz mit seinen Fachwerhäusern, dem auf 8 Pfeilern stehendem Rathaus und dem wuchtigen, weit ins Land schauendem Kirchturm. An einem unklaren Lichtsignal vorüber rollen wir weiter u. sehen bald in einem Garten hinter einem grossen Villengrundstück das geschmackvolle weisse Doktorhäuschen herausgucken.

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(folgt der Besuch bei einem Kriegskameraden von Peter)
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