14.3.22

Zeppelinmuseum Friedrichshafen

Beziehungsstatus: Offen. Kunst und Literatur am Bodensee

Der Bodensee: kreatives Sprungbrett oder seelische Tauchstation?

(zep) Warum hat sich der Kunst- und Bildwissenschaftlicher Aby Warburg während seines Aufenthalts im Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen, mit dem Schlangenritual befasst? Wie emanzipierte sich Annette von Droste-Hülshoff am Bodensee finanziell und emotional von der Bevormundung ihrer Familie? Warum kam der Schriftsteller Norbert Jacques bei einer Schifffahrt auf dem Bodensee auf die Figur des Dr. Mabuse und wie hat die Zweckgemeinschaft der Maler Willi Baumeister und Max Ackermann funktioniert? Diese und viele weitere Fragen werden in der Ausstellung „Beziehungsstatus: Offen. Kunst und Literatur am Bodensee“ thematisiert und beatwortet.

Plakat zur AusstellungHans Purrmann, Blick auf Schloß Montfort,1926, Öl auf Leinwand, 54 x 76 cm. VG Bild-Kunst Bonn, 2021Ernst Ludwig Kirchner, Kopf Robert Binswanger (Der Student), 1917/18. Holzschnitt, 58,9 x 40,5 cm. Städel Museum, Frankfurt am MainAnnette von Droste-Hülshoff, Scherenschnitte, o.J., 41,2 x 36,4 cm © Staatliche Schlösser und Gärten Baden-WürttembergPlakat zur Ausstellung

Hans Purrmann, Blick auf Schloß Montfort,1926, Öl auf Leinwand, 54 x 76 cm. VG Bild-Kunst Bonn, 2021

Ernst Ludwig Kirchner, Kopf Robert Binswanger (Der Student), 1917/18. Holzschnitt, 58,9 x 40,5 cm. Städel Museum, Frankfurt am Main

Annette von Droste-Hülshoff, Scherenschnitte, o.J., 41,2 x 36,4 cm © Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg

Erstmalig wird länder- und gattungsübergreifend das wechselseitige Beziehungsgeflecht zwischen Kunst und Literatur am Bodensee vom 19. Jahrhundert bis hin zur Gegenwart untersucht. Die Ausstellung zeigt, wie zahlreiche Künstler*innen und Schriftsteller*innen gemeinsame Projekte realisierten und sich gegenseitig unterstützten. Es entstanden Kooperationen für Bücher, aber auch für literarische und künstlerische Porträts. Diese neuen Synergien werden im Kontext der inspirierenden Netzwerke in die Ausstellung eingefügt.
Rund 200 Exponate präsentiert das Zeppelin Museum und zeigt neben Werken von Otto Dix und Ernst Ludwig Kirchner auch bisher wenig bekannte Exponate von Künstler*innen, die man überwiegend durch ihr literarisches Werk kennt, wie die Scherenschnitte von Annette von Droste-Hülshoff oder die Bodensee-Aquarelle von Hermann Hesse und die Zeichnungen von Eduard Mörike.

Heimatlosigkeit, Kreativität und Langeweile

Aus persönlichen Sinnkrisen, politisch verursachter Heimatlosigkeit oder der Sehnsucht nach einem paradiesischen Ort, zogen die Künstler*innen und Literat*innen an den Bodensee. Voller Hoffnungen kamen sie, ließen sich ein paar Jahre nieder und zogen wieder weiter. Manche verweilten nur während der Sommermonate, andere kamen spät und blieben bis zu ihrem Tod.

1904 zog beispielsweise das frisch verheiratete Paar Hermann und Mia Hesse nach Gaienhofen. Nach dem Wegzug 1912 resümierte Hesse, dass sich seine Erwartungen an das einfache Leben nicht erfüllt hätten. Trotzdem: „Die Landschaft des Untersees wird mir Zeitlebens fehlen“. Zahlreiche Werke Hesses entstanden in Gaienhofen, außerdem pflegte der Autor später eine enge Beziehung zum Maler Hans Purrmann, dem er das Gedicht Alter Maler in der Werkstatt (1953) widmete und diesen zum Malen animierte.

Erika Mann und Gustav Gründgens kamen 1926 auf ihrer Hochzeitsreise nach Friedrichshafen. Als Resultat des für das Paar eher langweiligen Aufenthalts verfasste Erika Mann ein Kinderbuch über einen Jungen, der als blinder Passagier in einem Zeppelin mitfuhr. Turbulent wurde es, als Erika Mann ihre Geliebte Pamela Wedekind und ihren Bruder Klaus Mann einlädt. Klaus Mann war trotz seiner Homosexualität mit Pamela Wedekind verlobt. Zur Hochzeit kam es jedoch nicht. Wedekind heiratete den viel älteren Carl Sternheim, Vater ihrer Freundin Mopsa Sternheim. Die Sternheims lebten seit 1920 in Uttwil auf der Schweizer Seite des Bodensees, wohin sie dem Architekten Henry van de Velde gefolgt waren. Dieser hatte sich vor seinem Aufenthalt in Uttwil im Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen behandeln lassen, was er dem Maler Ernst Ludwig Kirchner empfahl. Van de Veldes Tochter, Nele, wurde später dessen einzige Schülerin.

Im Fokus steht auch die produktive Beziehung von Martin Walser zum Maler André Ficus, der lange in Friedrichshafen wohnte. Ficus porträtierte Walser mehrfach, welcher sich wiederum häufig mit den Werken des Malers auseinandersetze. Es entstanden zwei große gemeinsame Projekte, die Bücher Heimatlob (1978) und Die Amerikareise (1986), mit Texten von Martin Walser und Bildern von André Ficus.

Hochkarätige Leihgaben wie das Doppelporträt von Ernst Würtenberger und Heinrich Ernst Kromer, das Porträt Rainer Maria Rilkes von Mathilde Vollmoeller-Purrman, das Holzschnittporträt Thea Sternheims von Conrad Felixmüller oder das Porträt Robert Binswangers von Ernst Ludwig Kirchner konnten für die Ausstellung gewonnen werden. Sie kommen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich, wie der Staatsgalerie Stuttgart, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach, dem Vorarlberg Museum, dem Städel Museum, dem Kunstmuseum Thurgau, dem Grassi Museum und dem Lenbachhaus München.

Eine Ausstellung als Wohnzimmer

Das Museum als Wohnzimmer, das zum längeren Verweilen einlädt, in dem man sich heimisch fühlt und eintauchen kann in Kunst und Literatur, nimmt das Zeppelin Museum wörtlich. Mit den regional verorteten Firmen Knoblauch, muuto und kff werden Räume geschaffen, die an private Wohnzimmer erinnern. Die Gäste sind eingeladen, sich in Hausschuhen wie zuhause zu fühlen und, mit Blick auf den See, den Ort zu genießen. Mit einem Re-Entry Ticket können die Besucher*innen wieder zurückkommen, mit dem personalisierten Lesezeichen in den Büchern weiterlesen und das Museum zu einem gemütlichen Zuhause machen.

Auch in anderer Hinsicht kann sich die Öffentlichkeit das Museum aneignen und an der Gestaltung der Ausstellung mitwirken. Denn bis heute prägt der schöpferische Reichtum dieser Szene mit seinen zahlreichen Impulsen die kulturelle Landschaft des Bodensees. Das Zeppelin Museum hat Kreative aufgefordert, die sich aktuell mit dem Bodensee auseinandersetzen, Kunstwerke oder Texte einzureichen. Darauf folgte eine öffentliche Abstimmung über die Werke, die in die Ausstellung integriert werden. Zum ersten Mal zeigt das Zeppelin Museum hier eine partizipativ konzipierte Themenschau, die teilweise von einer interessierten Öffentlichkeit mit kuratiert wurde. Das Museum wird zu einem „third place“, einem sozialen Ort der Begegnung und des Austauschs, des Verweilens und der Aneignung

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